Lobende Worte in stürmischen Zeiten: Eine positive Medienkritik

TLDR: Nach einer anstrengenden und aufwühlenden Woche für die Presse und weil sich alle Medienkritiker nur auf die negativen Dinge zu konzentrieren scheinen, wird es Zeit für lobende Worte.

In einer Zeit, in der jeder ein Medienkritiker ist, findet man zwischen der Empörung und den wüsten Beschimpfungen durchaus auch konstruktive Kritik. Doch selbst bei den sachlichsten Beiträgen wird eine negative Grundhaltung gegenüber der aktuellen Berichterstattung deutlich. Nach dem Unglück von Germanwings 4U9525 scheint niemand mehr ein gutes Wort für die Presse übrig zu haben.

Aber wenn Kritik laut Definition doch negativ und positiv sein kann, wieso gibt es dann überhaupt keine positive Medienkritik?

Medienkritikern scheint es allgemein schwer zu fallen, sich lobend oder anerkennend über die Presse zu äußern. Wie sonst könnte man erklären, dass eine Google-Suche nach „positive Medienkritik“ gerade einmal neun Treffer liefert. Neun Suchtreffer! Wohlgemerkt nicht nur bezogen auf die aktuelle Debatte. Nein. Weltweit und seit Beginn des Internets wird der Begriff gerade einmal neunmal erwähnt:

Positive Medienkritik bei Google

Gab es nicht mal ein Spiel bei „Schlag den Raab“, bei dem die Kontrahenten jeweils einen Begriff nennen mussten und am Schluss derjenige gewann, dessen Begriff am wenigsten Google-Ergebnisse liefert? Mit „positive Medienkritik“ läge man gut im Rennen.

Aber jetzt mal im Ernst.

Wieso sehen Medienkritiker immer nur die negative Seite und blenden die positive aus? Wie kommt es, dass wenn ein Schüler aus Haltern von seinen Erfahrungen mit den Journalisten vor Ort berichtet, ein angesehener Medienjournalist nur negative Punkte herauspickt? Wenn man den Beitrag von Mika Baumeister genau liest, findet man darin nämlich auch zahlreiche positive Bemerkungen. Er lobt explizit ein Fernsehteam, das einen gebührenden Abstand wahrte:

Vorbildlich verhielt sich anfangs N24. Mit einem kleinen Abstand von etwa 4 Metern zur eigentlichen Grenze (die oft bis zum letzten Zentimeter genutzt wurde) war die Berichterstattung genauso gegenwärtig für das Publikum vor der Mattscheibe, dabei aber deutlich weniger störend für die Anwesenden.

Es scheint, als habe Wolfgang Michal recht, wenn er den Medienkritikern Opportunität vorwirft:

„Unter dem Einfluss der Empörten haben aber nicht nur die professionellen Medien, sondern auch die professionellen Medienkritiker ihre Maßstäbe verloren (…). Seit die mediale Gewichtung des Weltgeschehens nicht mehr nach Relevanzkriterien erfolgt, sondern dem Boulevardprinzip unterliegt, gilt auch für viele Medienkritiker die Opportunitätsregel: Nur was aufregt, greifen wir auf.“


Bei all der negativen Kritik möchte ich deshalb jetzt ein Lob aussprechen:

Ein Lob an alle Mitarbeiter der Verlage und Fernsehsender, die sich um eine ehrliche und ethisch vertretbare Arbeit bemühen, weil es eine Selbstverständlichkeit ist. In den Redaktionen, aber auch vor Ort bei den Recherchen.

So berichtet Walter Korth, Kameramann beim ZDF, im Radio Eins Medienmanagazin (Ausgabe vom 28.03.2015, Audio, ab 13:22), dass es bei der Berichterstattung in Haltern sehr wohl moralische Grenzen gab und sich nicht nur einzelne, sondern die Mehrheit der Journalisten korrekt verhalten haben:

Ein Beispiel: Die Pressesprecherin der Polizei in Haltern (…) kam heute [28.03.2015] auf uns Journalisten zu, als die Ersten weinend aus der Kirche raus kamen (…) und hat gesagt: „Ihr wisst doch (…) wir hatten doch die Verabredung nicht zu drehen…“ Und meines Wissens hat es auch keiner gemacht von denen, die mit uns in der sogenannten „Meute“ standen.


Ein Lob an Michael Klein, Nachrichtenchef der Zeitungsgruppe Lahn-Dill, der auf eine identifizierende Berichterstattung bis auf Weiteres verzichtet und versucht, Kollegen, die anderer Meinung sind, zu überzeugen:


Ein Lob an Michael Reinhard, Chefredakteur der Mediengruppe Main-Post, der sich dem allgemeinen Trend entgegen stellt und die weiteren Ermittlungen erstmal abwartet:

Ja, wir haben es uns genau überlegt und bleiben zum jetzigen Zeitpunkt bei unserer Haltung. Wir sind der Meinung, dass es derzeit weder einer Namensnennung noch eines Fotos des 27-Jährigen bedarf, um alle Hintergründe zu dem furchtbaren Geschehen journalistisch fundiert auszuleuchten. Wohlwissend, dass wir damit eine Außenseiterposition einnehmen und uns gegen einige der „großen, alten erfahrenen Partner des Tagesjournalismus“ stellen.


Ein Lob an Heribert Prantl, Mitglied im Ethikrat der Akademie für Publizistik, für die Formulierung von vier Regeln (Video, 4:15 min), „die Journalisten jetzt dringend beachten sollten“ (via MEEDIA):

1. Man darf Trauernde nicht bedrängen
2. Man darf Nachahmungstäter publizistisch nicht provozieren
3. Man muss den Ermittlungsbehörden Zeit lassen
4. Man darf jetzt nicht so tun, als würden psychische Leiden zum Massenmord prädestinieren


Ein Lob an Sandra Schink, Journalistin (co-co-cofotoMAGAZIN), die selbst einmal Opfer von „Recherchen“ wurde und deshalb einen Appell an Kollegen richtet (auch bei Carta):

Ihr habt die Möglichkeit, die Macht, den Einfluss aus dieser kranken Jagd nach Klicks und „Kondolenz-Likes“ auszusteigen. Ihr könnt aufhören aus dem Tod und dem Leid von Menschen größtmöglichen Profit zu schlagen. Denn es gehört sich einfach nicht. Und das wisst Ihr. Hört auf.

https://twitter.com/_shamani/status/581191636727820290


Ein Lob an Daniel Schüler, Student an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation, der mit seinem Bericht zu seiner Arbeit vor Ort in Montabaur viele zum Nachdenken gebracht hat…

(…) Ein weiterer Journalist setzt dem Ganzen für mich die Krone auf. Er fragt, wie man die Eltern nun bestrafen müsse, denn „die haben ja wohl vollkommen versagt“. In mir brodelt es. Ich gehe dazwischen, frage, was das soll.

…und nicht vergisst, Kollegen zu erwähnen, die sich korrekt verhalten:

Und doch sind zum Glück nicht alle so. Einige halten sich im Hintergrund auf, führen keine Interviews, denken einfach nur nach. Einige gehen, ohne was getan zu haben. Sie gehen ohne Foto, ohne Filmsequenz und ohne O-Ton. Sie machen es richtig, denn mehr als zu sagen, dass die Staatsanwaltschaft derzeit das Haus durchsucht, bleibt ihnen sowieso nicht übrig.


Zum Abschluss möchte ich hinweisen auf Florian Harms, Chefredakteur von SPIEGEL Online, der sich unbestätigten Berichten zufolge einer identifizierenden Berichterstattung zunächst entgegen gestellt hatte, am Ende aber nachgeben musste:

Für Florian Harms und sein hehres Aufbegehren gegen die allgegenwärtige Praxis der Täteridentifizierung war das wohl hochnotpeinlich. Er musste seine Doktrin der Anonymisierung aufgeben, gezwungenermaßen, weil Spiegel Online sich schlecht im Widerspruch zum Print-Magazin profilieren konnte, ohne der Marke insgesamt Schaden zuzufügen. Harms beugte sich, aber nur halbherzig, nach Art von Zöllnern im Bummelstreik.

Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube, dass viele Journalisten Gewissensbisse haben, jedoch nicht in der Position sind, für eine gesamte Redaktion oder einen gesamten Verlag entscheiden zu können. Viele Journalisten müssen sich unterordnen, obwohl sie alleine anders entschieden hätten. Das sollten wir nicht vergessen.


Ich bin mir sicher, dass es noch viele weitere positive Geschichten im Rahmen der Berichterstattung zu Germanwings 4U9525 gibt. Wenn Sie welche kennen, sind Sie herzlich eingeladen, diese unter diesem Blogpost zu ergänzen. Alternativ können Sie auch einfach über #PositiveMedienkritik twittern.

Oder sind Sie vielleicht selbst Journalist und von der aktuellen Medienkritik erschlagen? Dann schreiben Sie doch einen Kommentar und geben Sie einen Einblick in ihre Arbeit und ihre Gedanken. Jeder Beitrag ist willkommen.

Ich wünsche Ihnen allen besinnliche Ostertage!